Neue Starthilfe für Jugendliche – die Psychosomatik bringt sie per E-Mobil zurück ins Alltagsleben

Die Kinderpsychosomatik wird noch mobiler: Über das Fahrzeug, das die Eva Mayr-Stihl Stiftung fördert, freuen sich der Landkreis und seine Kliniken im Namen ihrer Patientinnen und Patienten. Von links nach rechts: André Mertel (Geschäftsführer Rems-Murr-Kliniken), Prof. Ralf Rauch (Chefarzt Kinder- und Jugendmedizin Winnenden), Michael von Winning (Vorstand Eva Mayr-Stihl Stiftung), Andreas Hesky (Kuratoriumsvorsitzender Eva Mayr-Stihl Stiftung, Aufsichtsratsmitglied Rems-Murr-Kliniken), Dr. Richard Sigel (Landrat, Aufsichtsratsvorsitzender Rems-Murr-Kliniken), Claudia Bauer-Rabe (Klinikleiterin Rems-Murr-Klinikum Winnenden) und Dr. Heiner Lange (Ärztlicher Direktor Rems-Murr-Klinikum Winnenden). © RMK, Fuchs

Um therapeutische Gruppenaktivitäten zu erleichtern, fördert die Eva Mayr-Stihl Stiftung einen neunsitzigen Elektro-Van für die Kinderklinik im Rems-Murr-Klinikum Winnenden

Winnenden. Angst vor Schulversagen, soziale Phobien, Magersucht, Waschzwang, Depressionen: Mit solchen Erkrankungen kämpfen zunehmend bereits Zwölf- bis 18-Jährige, und meist verstecken sich diese psychischen Leiden hinter ganz anderen Symptomen. Um das Problem an der Wurzel zu packen und den betroffenen Familien zu helfen, kümmert sich die Psychosomatik für Kinder und Jugendliche im Rems-Murr-Klinikum Winnenden gleichermaßen um die Heilung von Körper und Seele. Oberstes Ziel ist es, den jungen Patientinnen und Patienten wieder eine stabile Perspektive im Alltag zu bieten. Deshalb ist es wichtig, dass sie während der mehrwöchigen stationären Therapie in der Klinik so oft wie möglich den normalen Alltag draußen erleben. Das können sie künftig in einem Van der Marke Peugeot e-traveller, dessen Anschaffung die Waiblinger Eva Mayr-Stihl Stiftung mit 48.000 Euro gefördert hat. 

Neun Sitzplätze hat das weiße Erlebnis-Mobil mit Elektroantrieb, das außerdem voller moderner Sicherheitstechnik steckt und Platz für die ganze Gruppe bietet. Sechs stationäre Therapieplätze sind in der Winnender Kinderpsychosomatik verfügbar, jeweils zwei bis drei Pflegedienst-Mitarbeitende betreuen die Jugendlichen unterwegs. Die Rechnung geht auf – in jeder Hinsicht. „Wie jeder gesunde junge Mensch möchten auch unsere Patientinnen und Patienten etwas in der Gruppe erleben und Alltag ausprobieren: Museum und Kino besuchen, im Ebnisee baden, Einkaufen im Supermarkt oder Bücher in der Bibliothek leihen. Sie sind ja schließlich nicht bettlägerig, sondern auf den Beinen, besuchen unsere Klinikschule, kochen zusammen“, sagt Prof. Ralf Rauch, Chefarzt der Kinderklinik, und dankt der Stiftung deshalb für diese wichtige Ergänzung der Kliniktherapie. „So ein Gruppenfahrzeug hilft den Jugendlichen dabei, in geschütztem Umfeld soziale Kompetenzen und Handlungsstrategien zu entwickeln. In der Psychotherapie nennen wir das Expositionsübung, weil die Patienten mit herausfordernden Situationen und Orten konfrontiert werden und in geschütztem Rahmen lernen, diese zu bewältigen.“

Landrat Dr. Richard Sigel, Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken, ist begeistert von diesem therapeutischen Mobilitätskonzept, zumal es gleich doppelt nachhaltig ist, wie Sigel treffend zusammenfasst: „Zum einen schaffen wir mit dem Fahrzeug für unsere Kinderpsychosomatik pädagogisch wertvolle Erlebnisse und Entwicklungsmöglichkeiten, um jungen Menschen in einer schwierigen Lage den Weg in die Zukunft zu ebnen und ihnen Teilhabe zu ermöglich. Zum anderen gehen oder fahren wir mit dem E-Mobil, gerade in der Größenordnung eines solchen Neun-Sitzers, auch unseren Weg zum Green Hospital, also zum nachhaltigen Krankenhaus, konsequent weiter. Denn das E-Mobil tankt kostenlosen Strom vom Photovoltaik-Dach des Klinikums. Mir ist wichtig, dass wir im Rems-Murr-Kreis mit möglichst jeder Investition für unsere Kliniken unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Herzlichen Dank an die Eva Mayr-Stihl Stiftung, dass wir hier gemeinsam an einem Strang ziehen.“ 

Auch der Geschäftsführer der Rems-Murr-Kliniken, André Mertel, dankt der Stiftung für die Förderung des e-Traveller und für die großzügigen Zuwendungen, von denen Projekte der Winnender Kinder- und Jugendmedizin seit einigen Jahren regelmäßig profitieren. So konnten zuletzt 2023 eine Erstversorgungseinheit für Neugeborene angeschafft und die Milchküche der Frauenmilchbank der Kinderklinik neu gebaut werden. Außerdem wurde aus Stiftungs-Mitteln zum Beispiel eine Studie zu den Auswirkungen der Frühgeburtlichkeit auf Herz und Lunge finanziert, der Aufbau der sozialpädiatrischen Nachsorge "Bunter Kreis Rems-Murr" oder die Anschaffung von Geräten zum PCR-Schnelltest gefördert. 

„Dass auch die Kinderpsychosomatik nun in den Genuss Ihrer Unterstützung kommt, freut mich sehr. Nicht nur wegen der finanziellen Hilfe, sondern auch, weil unsere jungen Patientinnen und Patienten in ihrer schwierigen Lebenssituation unsere volle Aufmerksamkeit brauchen. Deshalb ist Ihr Engagement zum Wohle der Betroffenen immens wichtig, denn es verleiht psychosomatischen Erkrankungen und ihren komplexen therapeutischen Lösungsansätzen öffentliche Sichtbarkeit“, wendet sich Mertel an den Vorstand der Eva Mayr-Stihl Stiftung, Michael von Winning, sowie an deren Kuratoriumsvorsitzenden Andreas Hesky. „Gleichzeitig möchte ich auch unserem Klinik-Team danken, denn die Arbeit mit psychisch und körperlich erkrankten Jugendlichen ist eine anspruchsvolle interdisziplinäre und interprofessionelle Herausforderung, die neben dem fachlichen Knowhow viel Fingerspitzengefühl seitens der Ärzte, Pflegefachkräfte und Therapeuten erfordert – zumal die Familie der betroffenen Jugendlichen oft mit betreut werden muss“, so Mertel. 

Worum geht es bei diesem speziellen diagnostischen und therapeutischen Angebot im Landkreis? Chefarzt Prof. Rauch, der die Kinderpsychosomatik 2016 im damals gerade erst zwei Jahre alten Winnender Klinikum aufgebaut hat, erläutert: „Wir nutzen hier unsere Chance, Kinder und Jugendliche mit teils vielfältigen körperlichen, also somatischen, Auffälligkeiten und den zugrunde liegenden psychiatrischen Erkrankungen unter einem Dach diagnostisch und therapeutisch zu versorgen.“ Rauch nennt ein Beispiel: „Angenommen, ein Junge kommt zu uns, weil er dauernd Kopf- oder Bauchweh hat und deshalb oft in der Schule fehlt. Dann können wir im Klinikum mit Hilfe der Kollegen in den anderen Fachabteilungen abklären, was im Kopf oder im Bauch los ist und behandelt werden muss. Wenn rauskommt: Es ist keine Zöliakie und keine chronische Magen-/Darmentzündung, dann wissen wir, dass das Bauchweh andere Ursachen hat. Panik vor Klassenarbeiten oder schlechten Noten, Angst vor Mitschülern oder allgemein davor, sich in Gruppen zurechtzufinden.“ Solche Ängste, die sich auf körperlicher Ebene zeigen, gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der Kinderpsychosomatik; ebenso wie Essstörungen, also zum Beispiel Magersucht oder Ess-/Brechsucht.

„Dahinter stecken harte Schicksale und Probleme, deren Geschichte sich oft über Generationen hinweg zieht“, so Rauch, der häufig beobachtet, dass übersteigerte Leistungsansprüche die Familien-DNA hartnäckig prägen. „Oft verstehen die Eltern nicht oder wollen nicht verstehen, dass ihr Kind schwerwiegende psychische Probleme hat.“ Gerade Magersucht (Anorexie) werde oft als Lifestyle-Thema verharmlost. „Aber das sind nicht einfach nur zu dünne Jugendliche. Studien zeigen, dass Anorexie sich tödlicher auswirkt als Leukämie, und da würde ja auch keiner bestreiten, dass es eine lebensbedrohliche Krankheit ist.“ Als Folge einer solchen Unterernährung fallen Haare aus, die Menstruationsblutung bei Mädchen bleibt aus, das Herz kommt aus dem Takt. Sogar das Hirn kann im Extremfall schrumpfen.

Auf zehn Mädchen kommt in der Kinderpsychosomatik ein Junge, weil Jungs sich meist noch weniger trauen, über ihre Probleme zu sprechen. Die Dunkelziffer ist bei beiden Geschlechtern hoch, weshalb das Team im Rems-Murr-Klinikum engen Kontakt zu den niedergelassenen Kinderärzten hält. „Wir klären auf, wir klären ab und wollen so der Krankheit möglichst schnell auf die Spur kommen. Und zwar bevor die Betroffenen jahrelange Odysseen durchmachen müssen, weil niemand ihre Beschwerden ernst nimmt oder keiner die psychische Grunderkrankung dahinter entdeckt.“

Die Therapie ist aufwändig, langwierig und erfolgreich. Meist bleiben die zwölf- bis 18-jährigen Patienten um die 100 Tage im Klinikum, bekommen neben der medizinischen Behandlung auch Psycho-, Physio-, Musik-, Kunst-, Theater- oder Hippotherapie. Außerdem gehen sie in die Klinikschule: Zwölf Unterrichtsstunden in den Hauptfächern stehen im Wochenplan. Das Niveau entspricht üblicherweise dem Gymnasium. Fördern und fordern, der Alltag werde nicht ausgeblendet, sondern geschützt geprobt, so Rauch: „Im Übergang von stationärer Therapie zur Entlassung üben wir gemeinsam den Schulweg und bilden ein Helfernetzwerk mit ambulanten Betreuern, Jugendhilfe und Schulen, um die Reintegration zu ermöglichen.“ 

Das alles überzeugt den Vorstand der Eva Mayr-Stihl Stiftung, Michael von Winning: „Im vergangenen Jahr hatten wir mehrere parallele Förderanfragen zu Psychosomatik bei Kindern und Jugendlichen. Den viel zu wenigen Behandlungsplätzen steht ein steigender Bedarf gegenüber, auch aufgrund der Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Deshalb fördern wir gern die Versorgung hier am Rems-Murr-Klinikum, wo Symptome und Ursachen interdisziplinär unter einem Dach behandelt werden können.“

Psychosomatik für Kinder und Jugendliche im Rems-Murr-Klinikum Winnenden
Behandelt werden Kinder und Jugendliche mit Lebensbelastung bzw. -beeinträchtigung im Alltag durch ihre psychosomatischen Beschwerden. Belastungen können beispielsweise eingeschränkter, unregelmäßiger Schulbesuch, Vernachlässigung alterstypischer Aufgaben und

Funktionen oder Beeinträchtigung in der Teilhabe am sozialen Leben sein. Grundsätzlich werden sämtliche Erkrankungen aus dem psychosomatischen Formenkreis behandelt mit den Behandlungsschwerpunkten der Essstörungen und der somatoformen Störungen:

• Störungen des Essverhaltens

• Psychogene Schmerzsyndrome

• Dissoziative und funktionelle Störungen

• Angststörungen

• Depression

Eine Zuweisung zur stationären Aufnahme erfolgt über den behandelnden Kinder-/Hausarzt nach einem ambulanten Vorgespräch. Weitere Informationen finden Sie unter https://www.rems-murr-kliniken.de/medizin/winnenden/kinderklinik.html 

Terminvergabe zum ambulanten Vorgespräch über die Ambulanz der Kinder- und Jugendmedizin unter Telefon 07195 591-37001.