Wer Parkinson hat, braucht intensive Hilfe von allen Seiten

Weil das Zittern ein typisches Parkinson-Symptom ist, hieß die Erkrankung früher auch Schüttellähmung. Foto: © RMK

Um die 1000 Erkrankte im Rems-Murr-Kreis / Bei der Parkinson-Komplex-Therapie am Rems-Murr-Klinikum unterstützen Spezialisten die Patienten vom Gehirn bis zum Darm
Winnenden / Schorndorf. Ob Präsident, Papst, Prinz, Hollywood-Star oder der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel: Parkinson kann jeden treffen. Und fast jeder kennt jemanden, der an diesem neurologischen Leiden erkrankt ist. Parkinson hat viele Gesichter: Bewegungsstörungen von Einfrieren bis Zittern, Sprechblockaden, Schmerzen, schwindender Geruchssinn, Probleme mit Blase und Darm sowie Depressionen oder Konzentrationsstörungen können zu den Symptomen zählen. „Anziehen, essen, Knöpfe zu machen, ein Schubfach aufschließen, ein Buch aufschlagen: Alles dauert sechsmal so lange“, zitiert Dr. Thomas Trottenberg, Parkinson-Spezialist und Leitender Oberarzt der Neurologie am Rems-Murr-Klinikum Winnenden, den ersten prominenten Parkinson-Kranken der Geschichte, den Philosophen Wilhelm von Humboldt.

Morbus Parkinson, 1817 vom englischen Arzt James Parkinson erstmals beschrieben, ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, und Dr. Trottenberg konnte bereits viele Erfahrungen mit Parkinson-Patienten sammeln. Sein Wissen fließt in die Parkinson-Komplexbehandlung ein, welche die neurologische Abteilung in Winnenden als eine der wenigen Kliniken in der Region anbietet – mit einem großen Team, denn die intensive, multimodale Therapie ist so vielschichtig wie die Probleme, die Patientinnen und Patienten mit in die Klinik bringen. Im Rems-Murr-Kreis sind, schätzt Dr. Trottenberg, fast 1000 Menschen betroffen; bundesweit rechnet man heute mit weit über 200.000 Parkinson-Erkrankten.

„Ich glaube, bei mir hat Herr Parkinson auch schon angeklopft“, sagt ein Teilnehmer halb im Scherz und halb in Sorge, als er sich für eine Vortragsveranstaltung zur Parkinson-Komplextherapie im Rems-Murr-Klinikum anmeldet, die binnen eines Tages ausgebucht ist – ein Zeichen, wie brisant diese Problematik für die Menschen hier im Rems-Murr-Kreis ist. Das liegt auch daran, dass Parkinson meist bei 40- bis 60-Jährigen erstmals anklopft, also bei der aktuell zahlenstarken Baby-Boomer-Generation, und als lästiger Schatten bis ans Lebensende folgt: Drei Prozent der über 80-Jährigen leiden an Parkinson. Die Ursachen sind noch nicht vollständig erforscht; „man kennt auch genetische Ursachen insbesondere bei jüngeren Patienten“, sagt Dr. Trottenberg.

Heilbar ist Parkinson nicht – soweit die schlechte Nachricht. Die gute: Die Lebenserwartung von Parkinson-Patienten ist weitgehend normal. Frühzeitig behandelt lassen sich Krankheitsverlauf aufhalten und Lebensqualität verbessern. Basis dafür ist die individuelle medikamentöse Einstellung des Patienten mit der passenden Wirkstoff-Kombi gegen die unterschiedlichen Symptome der Erkrankung. Das ist ein Fall für Spezialisten, weil im Verlauf der Erkrankung immer mehr Neurotransmittersysteme nicht mehr richtig funktionieren und daher die Signalübertragung zwischen Nerven und Botenstoffen im Gehirn gestört ist. Moderne Arzneiwirkstoffe hemmen überschießende Signale, können so die Motorik verbessern oder positiv die Psyche beeinflussen.

In der Parkinson-Komplex-Behandlung kommt zusätzlich zu den Medikamenten eine Vielzahl weiterer Hilfen zum Einsatz. Dr. Trottenberg zählt Beispiele auf: „Unser Team kombiniert je nach Beschwerden Physiotherapie, Ergotherapie, physikalische Therapien, Sporttherapie, Logopädie und Soziotherapie. Oberstes Ziel ist es, dass der Patient so gut wie möglich seine beruflichen und familiären Rollen ausfüllen kann.“ Autonomie im Alltag, Arbeit, Haushalt und Freizeitaktivitäten sollen möglichst lange machbar bleiben. Ausdrücklich bindet die Parkinson-Komplexbehandlung im Rems-Murr-Klinikum Winnenden daher auch Angehörige ein.

Weil man heute weiß, dass auch die Ernährung einen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf der Parkinson-Erkrankung hat, gibt das Team um Dr. Trottenberg begleitend Tipps, welche Lebensmittel und Essgewohnheiten sich positiv auswirken – etwa auf den Bewegungsapparat, die Darmperistaltik und die Hirnfunktionen. All diese sind stark beeinträchtigt bei Flüssigkeitsmangel im Körper, der gerade bei älteren Menschen aufgrund sinkendem Durstgefühl oder Vergesslichkeit häufig vorkommt. Es kommt schnell zur Austrocknung, und damit steigt das Schwindel- und Sturzrisiko. „Unbedingt 1,5 bis 2 Liter pro Tag trinken“, rät Dr. Trottenberg deshalb, „dazu ballaststoffreiche Kost wie Vollkorn, Haferflocken, Leinsamen. Wenig Kohlenhydrate, kleine Mahlzeiten, grünen Tee, fünf Portionen Obst und Gemüse, außerdem Joghurt und Probiotika für den Darm.“

Infos für Betroffene und Angehörige
Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf Parkinson ist der niedergelassene Hausarzt oder Neurologe. Mit seiner Überweisung können sich Patienten für die Parkinson-Komplex-Behandlung im Rems-Murr-Klinikum Winnenden anmelden; unter der Telefonnummer 07195 / 591-39734.