Einschränkungen im ärztlichen Bereitschaftsdienst der Notfallpraxen

Wegen eines Urteils des Bundessozialgerichts müssen auch im Kreis Notfallpraxen schließen oder Dienste reduzieren / Längere Wartezeiten für Patientinnen und Patienten
Winnenden/Schorndorf. Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Oktober 2023 sorgt bundesweit für erhebliche Engpässe im Bereitschaftsdienst der niedergelassenen Ärzte. Im Rems-Murr-Kreis sind davon die ärztlichen Notfallpraxen der Kreisärzteschaft in Winnenden, Schorndorf und Backnang betroffen, die ihre Dienste mit sofortiger Wirkung reduzieren müssen. Das hat auch Auswirkungen auf die Interdisziplinären Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken, die an den Standorten Winnenden und Schorndorf mit den Notfallpraxen der Niedergelassenen räumlich und zeitlich eng verzahnt im sogenannten Ein-Tresen-Modell zusammenarbeiten. Notfallpraxis und Notaufnahme sind an einem Ort gebündelt, was Wartezeiten und Wege spart.

„Unser Ein-Tresen-Modell im Rems-Murr-Kreis ist seit mittlerweile sechs Jahren ein Erfolgsmodell, mit dem wir die Notfallversorgung für die Menschen im Rems-Murr-Kreis entscheidend verbessern konnten. Dieses Modell wird nach dem aktuellen BSG-Urteil nun einem Härtetest unterzogen, der dem Personal ebenso wie den Patientinnen und Patienten einiges abverlangen wird. Das muss man ganz klar sagen“, betont Landrat Dr. Richard Sigel, Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken. „Uns ist es deshalb wichtig, dass wir die Öffentlichkeit transparent darüber informieren, welche Auswirkungen das auf Bundesebene ergangene Urteil im Rems-Murr-Kreis haben wird. Wie überall im Land ist auch bei hier die Lage angespannt; die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte arbeiten mit begrenzten Ressourcen. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir jetzt miteinander nach Lösungen für alle Betroffenen suchen.“

Das gilt auch für die Rems-Murr-Kliniken, ergänzt deren Geschäftsführer André Mertel. „Unsere Mitarbeitenden in den beiden Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken, ob Ärzte oder Pflegekräfte, sind mit Leidtragende dieses Urteils und werden die Folgen spüren. Sie versorgen bereits jetzt jährlich rund 75.000 Patientinnen und Patienten in den Notaufnahmen beider Standorte und geben rund um die Uhr ihr Bestes. Das ist unser Auftrag und unser Anspruch. Unser Klinikpersonal wird die Einschränkungen im Notfalldienst der niedergelassenen Ärzteschaft jedoch nicht vollständig auffangen können“, so Mertel.

Worum geht es im BSG-Urteil? Im Bereitschaftsdienst außerhalb der regulären hausärztlichen Sprechzeiten, also in den Notfallpraxen oder im Fahrdienst der kassenärztlichen Vereinigungen, arbeiten bundesweit Ärztinnen und Ärzte als sogenannte Poolärzte mit. Diese Tätigkeit ist freiwillig, wird freiberuflich vergütet und zum Beispiel oft von Ruheständlern ausgeübt. In Baden-Württemberg gibt es bisher etwa 3.000 Poolärzte. Diese bisherige Regelung wurde nun gekippt, weil ein Zahnarzt auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geklagt hatte. Die Kassenärztliche Vereinigung hat daraufhin beschlossen, die Tätigkeit der Poolärzte sofort zu beenden und ihre Vertragsärztinnen und -ärzte aufgefordert, Notfallpläne für den Bereitschaftsdienst zu erstellen.

„Dass die bisher am Notdienst teilnehmenden freien Poolärztinnen und -ärzte nicht mehr im ärztlichen Notfalldienst eingesetzt werden können, liegt an fahrlässigen politischen Versäumnissen auf Bundesebene und der daraus resultierenden Rechtsprechung durch das Bundessozialgericht”, kommentiert Dr. Jens Steinat, Vorsitzender der Ärzteschaft Backnang, stellvertretend für alle niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen beider Ärzteschaften des Rems-Murr-Kreises. Steinat, der als Allgemeinmediziner in Oppenweiler praktiziert, schildert die angespannte Situation: „Wir müssen die Anzahl der Notfallpraxen, die Öffnungszeiten und die Hausbesuchsdienste im Landkreis reduzieren. Denn wir niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen stemmen nun auch den Bereitschaftsdienst alleine und versuchen, zusätzlich zu unserer ohnehin schon hohen Arbeitsbelastung die Versorgung der Kreisbevölkerung auch in medizinischen Notfällen sicher zu stellen. Für nicht akut bedrohliche Krankheitszustände wird es daher voraussichtlich zu zusätzlichen Wartezeiten kommen. Wir bitten deshalb darum, den Notfalldienst nur für dringende medizinische Notfälle in Anspruch zu nehmen."

Für die Rems-Murr-Kliniken schließt sich Dr. Angela Rothermel, Leitende Ärztin der Notaufnahme in der Klinik Schorndorf, dieser Bitte an. „Wir stehen selbstverständlich auch in dieser herausfordernden Lage Seite an Seite mit unseren niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Denn uns allen geht es darum, dass wir eine gute und sichere Gesundheitsversorgung gerade auch für Menschen in Notlagen bieten können“, so Rothermel. „Deshalb nehmen wir die Einschränkungen im ärztlichen Bereitschaftsdienst sehr ernst, denn sie werden unweigerlich dazu führen, dass mehr Patientinnen und Patienten in unseren Klinik-Notaufnahmen Hilfe suchen werden, und zwar sowohl in Schorndorf als auch in Winnenden. Dort arbeiten wir bereits jetzt 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. Deshalb müssen wir klar sagen, dass wir die drohenden Engpässe im Bereitschaftsdienst in den Notaufnahmen der Kliniken kaum kompensieren können. Patientinnen und Patienten müssen daher leider auch bei uns mit längeren Wartezeiten rechnen, dafür bitten wir um Verständnis.“

Die neuen Notfallpraxis-Dienstzeiten im Rems-Murr-Kreis
Die ärztliche Notfallversorgung muss ab sofort von Medizinern aller Fachrichtungen übernommen werden, also beispielsweise auch von Gynäkologen, Psychiatern, Pathologen, Radiologen oder ärztlichen Psychotherapeuten.

Notfallpraxis Backnang
Montag bis Freitag: 18.00 bis 21.00 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertage: 8.00 bis 20.00 Uhr Fahrdienst: bitte unter Tel. 116117 erfragen.

Notfallpraxis Winnenden (in den Räumen des Rems-Murr-Klinikums Winnenden): 
Montag, Dienstag, Donnerstag: 18.00 bis 22.00 Uhr
Mittwoch, Freitag: 14.00 bis 22.00 Uhr Samstag, Sonntag, Feiertage: 8.00 bis 15.00 Uhr und 15.00 bis 22.00 Uhr 
Die chirurgische und die orthopädische Notfallpraxis werden geschlossen.
Die Kinder-Notfallpraxis bleibt wie gewohnt geöffnet. 
Fahrdienst: bitte unter Tel. 116117 erfragen.

Notfallpraxis Schorndorf (in den Räumen der Rems-Murr-Klinik Schorndorf): 
Diese Notfallpraxis wird geschlossen.
Alle Infos zu den Notfallpraxen: https://www.notfallpraxis-rems-murr.de/


Tipps für medizinische Notfälle: Hier finden Sie Hilfe
Notfallpraxen und Notaufnahmen kümmern sich um Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen, die nicht bis zur nächsten regulären Sprechstunde warten können. Um Wartezeiten für alle Patientinnen und Patienten zu vermeiden, beachten Sie bitte diese Hinweise:

Wann sollten Sie die Notfallpraxis aufsuchen? 
Wenn Sie nachts, am Wochenende oder an Feiertagen einen Arzt brauchen und aufgrund der Beschwerden nicht bis zur nächsten Sprechstunde Ihres Hausarztes warten können, ist der ärztliche Bereitschaftsdienst für Sie da. Falls Sie krankheitsbedingt nicht in die Notfallpraxis kommen können, gibt es die Möglichkeit, einen ärztlichen Hausbesuch anzufordern unter Tel. 116117.

Wann sollten Sie die Notaufnahme in der Klinik aufsuchen? 
Bitte nur in dringlichen unaufschiebbaren Notfällen.

Wann müssen Sie sofort die Notruf-Tel. 112 des Rettungsdienstes anrufen, der Sie in die Klinik-Notaufnahme bringt?
In lebensbedrohlichen Fällen, wenn akute Gefahr droht.